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Medieninformation des Sozialgerichts Freiburg 2024
Das Sozialgericht Freiburg ist eines von acht erstinstanzlichen Gerichten der Sozialgerichtsbarkeit im Land Baden-Württemberg. Es
ist für den Stadtkreis Freiburg sowie die Landkreise Breisgau-Hochschwarzwald, Emmendingen, Lörrach, Ortenau und Waldshut
zuständig. Das Gericht bearbeitet Verfahren aus dem Sozialversicherungs-, Förderungs-, Fürsorge- und Teilhabe- sowie dem
sozialen Entschädigungsrecht.
Am Gericht sind aktuell 18 Richterinnen und Richter, davon acht in Teilzeit, tätig. Die Arbeit wird zudem von weiteren 28
Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern gestemmt. Diese bearbeiten weit überwiegend in den Geschäftsstellen die Verfahrensakten, welche
nunmehr nahezu ausschließlich elektronisch geführt werden (eAkte). Andere nehmen in der Rechtsantragstelle Klagen und sonstige
Gesuche von Rechtschutzsuchenden auf. Kostenbeamtinnen und -beamte rechnen die Vergütungen von Sachverständigen, Zeuginnen und
Zeugen, ehrenamtlichen Richterinnen und Richtern sowie beigeordneten Rechtsanwältinnen und -anwälten ab. Zwei Personen sind in
der Poststelle tätig, unter anderem scannen sie eingehende Dokumente für die eAkte, die im Gericht Anfang Dezember 2019
eingeführt wurde.
In den mündlichen Verhandlungen wirken jeweils zwei ehrenamtliche Richterinnen und Richter aus der Mitte der Bevölkerung mit.
Ende 2023 waren beim Sozialgericht Freiburg 163 Personen in dieser Funktion tätig. Sie werden jeweils für bestimmte Bereiche
(Sozialversicherung, soziales Entschädigungsrecht, Sozialhilfe) aus Vorschlagslisten verschiedener Stellen, insbesondere von
Gewerkschaften sowie Arbeitgeber- und Sozialverbänden, vom Landesversorgungsamt und den Kreisen für fünf Jahre berufen. Die
Amtszeit kann mehrfach verlängert werden.
2023 sind beim Sozialgericht Freiburg 3.327 Verfahren anhängig geworden, davon 2.947 Klagen und 380 Anträge auf einstweiligen
Rechtschutz (Eilrechtsschutz). Das stellt im Gegensatz zum Vorjahr einen leichten Rückgang um etwas mehr als 7 % dar. Der Hauptanteil
der Verfahren betraf mit annähernd 24 % das Recht der Grundsicherung für Arbeitsuchende.
Die Laufzeit der Verfahren ist erfreulich kurz. Klageverfahren werden im Durchschnitt innerhalb von 13 Monaten abgeschlossen. Verfahren,
die medizinische Ermittlungen in Form von Arztauskünften und Begutachtungen erfordern, dauern länger, andere sind hingegen zum
Teil in weniger als einem halben Jahr beendet. Rechtsstreitigkeiten des einstweiligen Rechtsschutzes sind in der Regel innerhalb weniger
Wochen abgeschlossen. Bei der Anzahl der laufenden Verfahren je Richterin und Richter belegt das Sozialgericht Freiburg in der
Sozialgerichtsbarkeit Baden-Württemberg eine gute Position.
Nie hat die Videokonferenztechnik mehr Aufmerksamkeit in der Justiz erhalten, als in Zeiten der Corona-Pandemie. Was kaum bekannt ist, die
Verfahrensordnung der Sozialgerichtsbarkeit sieht wie die anderer Gerichtsbarkeiten bereits seit Jahren vor, dass das Gericht den
Beteiligten und ihren Bevollmächtigten gestatten kann, sich während der mündlichen Verhandlung an einem anderen Ort
aufzuhalten und dort Verfahrenshandlungen vorzunehmen. Sie wird dann in Bild und Ton an diesen Ort und in den Gerichtsaal übertragen.
Während der Corona-Pandemie konnte auf ein Videokonferenzsystem zurückgegriffen werden, mit dem das Sozialgericht Freiburg lange
vor der Corona-Pandemie ausgestattet war.
Infolgedessen wurden von Seiten des Ministeriums der Justiz und für Migration darüber hinaus innerhalb kurzer Zeit die
technischen Möglichkeiten geschaffen, um den Gerichtsalltag digital - z. B. über Cisco Webex oder Skype for Business -
bewältigen zu können. Dies hat dazu beigetragen, dass Verhandlungen weiterhin mit der Folge stattfinden konnten, dass beim
Sozialgericht Freiburg keine ins Gewicht fallenden Bearbeitungsrückstände aufliefen.
Der Gerichtsalltag ist zwar seither wieder in erster Linie durch Verhandlungen in Präsenz geprägt. Denn diese sind zentraler
Kernpunkt richterlicher Tätigkeit und durch Videokonferenzen nicht immer ersetzbar. Allerdings wird die digitale Gerichtsverhandlung
auch in Zukunft ihre Berechtigung haben, insbesondere bei Beteiligten, denen eine weite Anreise nicht zumutbar ist oder die aus
gesundheitlichen Gründen nicht persönlich vor Gericht erscheinen können. Insoweit bietet diese Form der Digitalisierung eine
Chance für den Zugang zur Justiz, wie es das Bundesministerium der Justiz zu Beginn der Corona-Pandemie proklamierte. Nicht zuletzt
deswegen wurde das Gericht jüngst mit drei neuen mobilen Videokonferenzanlagen ausgestattet, die sich in allen drei Sitzungssälen
befinden.
Bei all den Herausforderungen in der jüngeren Vergangenheit ist den Bediensteten des Sozialgerichts Freiburg ein sehr großes Lob
auszusprechen. Alle haben sich vorbildlich engagiert, weshalb das Sozialgericht Freiburg durchgehend effektiven Rechtsschutz gewährt
hat.
Eine Auswahl von Entscheidungen des Sozialgerichts Freiburg aus 2023
Gesetzliche Krankenversicherung
Kosten für einen Corona-PCR-Test sind nicht zu übernehmen (Urteil vom 6. Dezember 2023 - S 14 KR 1742/23,
rechtskräftig)
Der 1977 geborene Kläger ließ vor einem stationären Krankenhausaufenthalt in einer Apotheke einen Corona-PCR-Test
durchführen, wie ihm von der Krankenhausträgerin aufgegeben worden war. Die Kosten von 89 € übernahem die beklagte
Krankenkasse nicht. Der Kläger habe sie vor der Selbstbeschaffung nicht in Kenntnis gesetzt. Ohnehin sei das aufgesuchte Testzentrum
kein Leistungserbringer für die Testung. Vor dem Sozialgericht Freiburg, das sich der Auffassung der Beklagten anschloss, hatte der
Kläger keinen Erfolg.
Keine Ausweitung der Pflichtversicherung in der Krankenversicherung der Studierenden bei einem Hinderungsgrund nach dem 30. Lebensjahr
(Urteil vom 20. Januar 2023 - S 5 KR 2021/21, rechtskräftig)
Die 1987 geborene, alleinerziehende Klägerin hat einen 2014 geborenen Sohn. Sie studierte an der Katholischen Hochschule in Freiburg.
Ihr Kind konnte im April und Mai 2020 auf Grund der pandemiebedingten Schließung nicht im Kindergarten betreut werden. Sie begehrte
die Fortführung der Pflichtversicherung in der Krankenversicherung der Studierenden über das 30. Lebensjahr hinaus wegen der
Betreuung ihres Kindes, was die beklagte Krankenkasse ablehnte. Das Sozialgericht Freiburg wies die Klage ab. Die pandemiebedingte eigene
Betreuung des Kindes als Hinderungsgrund, das Studium fortzuführen, hätte bis zum 30. Lebensjahr bestehen müssen und nicht
erst danach. Der Ausnahmetatbestand ist eng auszulegen. Nicht entscheidend ist demgegenüber der Zeitpunkt der Geburt des
Kindes.
Gesetzliche Rentenversicherung
Gewährung einer erneuten stationären Rehabilitationsmaßnahme bei extremer Magersucht (Urteil vom 22. Juni 2013 - S 14 R
1648/21, Berufung anhängig beim Landessozialgericht Baden-Württemberg, L 10 R 2165/23)
Die 2000 geborene Klägerin leidet an einer Anorexia nervosa, also einer Essstörung, und ist stark untergewichtig. Anfang 2020
erkrankte sie arbeitsunfähig und wurde mehr als zwei Monate in einer Klinik stationär behandelt. Anschließend nahm sie eine
stationäre medizinische Rehabilitationsmaßnahme in Anspruch. Ende 2020 beantragte sie bei der beklagten Trägerin der
gesetzlichen Rentenversicherung erneut die Gewährung einer stationären Rehabilitationsmaßnahme. Vorgelegt wurde eine
hausärztliche Bescheinigung, wonach die Klägerin unter Atem- und Herzbeschwerden leide. Zudem sei binnen zehn Tagen ein
Gewichtsverlust von 3 kg eingetreten. Das Begehren wurde mit der Begründung abgelehnt, der Gesundheitszustand der Klägerin lasse
eine solche Maßnahme nicht zu, stattdessen sei eine Akutbehandlung in einem Krankenhaus angezeigt.
Das Sozialgericht Freiburg gab der Klägerin Recht. Nach den durchgeführten medizinischen Ermittlungen ist ihre
Erwerbsfähigkeit krankheitsbedingt gemindert. Es besteht eine positive Prognose, dass diese Beeinträchtigung durch eine
stationäre medizinische Rehabilitationsmaßnahme zumindest gebessert werden kann. Nach den schlüssigen Äußerungen
der gehörten Sachverständigen ist diese gegenüber der Akutbehandlung in einem Krankenhaus trotz des starken Untergewichts
und der Begleiterkrankungen ausreichend.
Gesetzliche Unfallversicherung
Bislang kein allgemeiner wissenschaftlicher Kenntnisstand zu den Krankheitsmechanismen bei Long-COVID (Urteil vom 18. Oktober 2023 - S 1 U
691/23, Berufung anhängig beim Landessozialgericht Baden-Württemberg, L 1 U 3190/23)
Die 1964 geborene Klägerin ist ausgebildete Operationsschwester. Die beklagte Berufsgenossenschaft erkannte bei ihre eine
Berufskrankheit wegen einer SARS-CoV-2-Infektion an. Als wesentliche Folgen dieses Versicherungsfalls stellte sie zudem eine
vorübergehende Müdigkeit, gelegentliche Konzentrationsstörungen und eine leicht reduzierte Belastbarkeit fest. Weitere
Gesundheitsstörungen, an der die Klägerin leide, seien nicht mit dem erforderlichen Beweisgrad auf die Berufskrankheit
zurückzuführen. Ein abschließender medizinischer Erkenntnisstand, welche Langzeitfolgen eine COVID-19-Infektion
tatsächlich verursache, liege nicht vor.
Das Sozialgericht Freiburg wies die Klage ab. Bei allen geltend gemachten weiteren Gesundheitsstörungen kommt es hinsichtlich des
Zusammenhanges mit der SARS-CoV-2-Infektion auf Kriterien an, welche die überwiegende Mehrheit der Fachmedizinerinnen und -mediziner,
die auf dem jeweils in Betracht kommenden Gebiet über spezielle Erfahrungen und Kenntnisse verfügen, wissenschaftlich fundiert
vertreten. Offene Fragen sind in der Wissenschaft allerdings weiterhin, welche genauen Krankheitsmechanismen Long-COVID zugrunde liegen
oder wie sich das Krankheitsbild überhaupt äußert. Hierzu bedarf es erst noch einer kontinuierlichen Zusammenarbeit zwischen
der Grundlagenforschung sowie der klinischen und epidemiologischen Forschung.
Soziale Pflegeversicherung
Rückwirkende Gewährung von Pflegegeld für ein mit einer Behinderung geborenes Kind trotz verspäteter Antragstellung
(Urteil vom 11. September 2023 - S 9 P 2145/22, rechtskräftig)
Ein im April 2020 geborenes Kind des Klägers musste wegen Sauerstoffmangels bei der Geburt künstlich beatmet werden. Beim Versuch
der Extubation kam es zu einem Anfall, der eine erneute Intubation erforderlich machte. Hierbei erlitt das Kind eine Hirnblutung mit der
Folge einer zerebralen Tetraparese und Tetraplegie sowie einer Entwicklungsstörung der motorischen Funktionen. Es wurde Ende Mai 2020
aus dem Krankenhaus entlassen. Aufgrund des Antrags des Klägers von September 2021 leistet die beklagte private Krankenversicherung
Pflegegeld. Sein weiteres Begehren auf rückwirkende Leistungserbringung ab Mai 2020 wegen einer unterlassenen Beratung über
Pflegeleistungen durch das Entlassmanagement des Krankenhauses lehnte die Beklagte ab.
Das Sozialgericht Freiburg gab dem Kläger Recht. Der Beklagten ist es unter Berücksichtigung des Grundsatzes von Treu und Glauben
beziehungsweise des in der privaten Pflegeversicherung zumindest entsprechend anwendbaren sozialrechtlichen Herstellungsanspruchs verwehrt,
sich auf die fehlende Antragstellung vor September 2021 zu berufen. Die Beklagte muss sich ein Fehlverhalten des Universitätsklinikums
Freiburg zurechnen lassen. Die Pflegebedürftigkeit des Kindes zeichnete sich bereits bei der Entlassung im Mai 2020 ab.
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Anspruch auf Übernahme der Kosten für die Anschaffung von Arbeitsheften an Privatschulen (Urteil vom 15. Juni 2023 - S 15 AS
861/23, Berufung anhängig beim Landessozialgericht Baden-Württemberg, L 9 AS 2008/23)
Der 2011 geborene Kläger besucht eine Privatschule in Freiburg. Im Januar 2023 begehrte er vom Jobcenter die Übernahme der Kosten
für Schularbeitshefte. Dieses lehnte den Antrag unter Hinweis auf die in Baden-Württemberg bestehende Lernmittelfreiheit
ab.
Das Sozialgericht Freiburg gab dem Kläger Recht. Ein entsprechender Mehrbedarf wegen der Anschaffung der Arbeitshefte besteht. Nach
dem Landesschulgesetz besteht Lernmittelfreiheit nur an öffentlichen Schulen. Nach der Gesetzesbegründung wollte der Gesetzgeber
zudem nicht zwischen öffentlichen und privaten Schulen differenzieren, sodass die Aufwendungen für die Arbeitshefte vom Jobcenter
zu übernehmen sind.
Sozialhilfe
Kostenersatz aus dem Erbe eines Angehörigen (Gerichtlicher Vergleich im Verfahren S 7 SO 1345/20)
Ein Sozialhilfeträger, der jahrelang für eine Frau mit Behinderung Eingliederungshilfe nach dem Sozialhilferecht gezahlt hatte,
forderte nach deren Tod vom Kläger, ihrem Bruder und Erben, Kostenersatz aus dem Erbe, welches aus einem geringen Miteigentumsanteil
an einem Mehrfamilienhaus bestand, in dem die Verstorbene jahrelang mietfrei eine Wohnung bewohnte. Miteigentum hatte neben dem Kläger
auch dessen weitere Schwester. Letztere lebte im gleichen Haus und übernahm, ohne Vergütung, einen Teil der Betreuung und
hauswirtschaftlichen Versorgung der Verstorbenen. Der vom Sozialhilfeträger in Anspruch genommene Kläger argumentierte, durch den
Verzicht auf die Mietzahlung zu Lebzeiten der Verstorbenen hätten er und seine weitere Schwester den Wert des Nachlasses der
Verstorbenen erheblich erhöht und darüber hinaus durch die unentgeltlichen Betreuungsleistungen der Allgemeinheit weitere Kosten
erspart. Wenn er jetzt zum Kostenersatz aus dem Erbe herangezogen werde, werde er doppelt belastet und sei daher ein Härtefall.
Nachdem sich herausstellte, dass die realistischer Weise zu erwartenden Mietzahlungen der Verstorbenen in der Summe deutlich niedriger
gewesen wären als der Wert ihres Nachlasses, haben sich die Beteiligten im März 2023 im Vergleichswege auf eine
Kostenersatzzahlung des Klägers in Höhe des Wertes des Nachlasses abzüglich fiktiver Mietzahlungen geeinigt.